Kanada (Lonely Planet)

Kanada (Lonely Planet)

Pelzhüten verdankt Kanada die Besiedlung durch die Europäer. Im 16. Jahrhundert galten solche Hüte in Europa als der letzte Schrei, und es dauerte nicht lange, bis ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Franzosen und Briten um die Kontrolle des Pelzhandels und des ganzen unerforschten Landes begann. Die Pelzhüte blieben dabei sicher auf der Strecke, aber die Europäer hatten Fuß gefasst. Und sie pflegten die Animositäten wie gute Hüte, bekämpften sich über viele Jahre – und wo sie schon einmal dabei waren, machten sie auch vor den Einheimischen nicht halt und nicht vor den Bisons und anderen Tierarten.

Ob Kanada in der Gegenwart zur Ruhe gekommen ist? Selbst der Außenstehende mag das nach dem Lesen dieses Reiseführers bezweifeln. Erst 1960 wurde den Ureinwohnern die Staatsbürgerschaft gewährt, doch bis in die jüngste Zeit kämpfen diese noch immer um ihre Rechte, wenn beispielsweise ein Golfplatz auf ein heiliges Gelände der Mohawk ausgedehnt werden soll. Man stelle sich das bei uns vor: Der Kölner Dom muss weg, weil das Müngersdorfer Stadion endlich seinen Platz am Rhein finden soll …

Kanada (Lonely Planet)
Kanada hat eine Geschichte, die viel weiter zurückreicht als zur ersten Besiedlung durch Europäer. Vor 15.000 Jahren bildeten sich die ersten Indianerstämme, erst um das Jahr 1000 setzten Leif Eriksson und seine Mannschaft ihre Füße auf dieses Land. Weshalb dies bedeutsam ist? Weil Kanada aus diesen und vielen anderen Gründen ein sehr geschichtsträchtiges Land ist, das zwar nur eine kurze Zeit seit der besagten Inbesitznahme erlebt hat, aber seitdem vielen Veränderungen unterworfen war. Und diesen Veränderungen begegnet der Reisende auf Schritt und Tritt.

Mit seinen 1026 Seiten drückt »Kanada« im Reisegepäck ordentlich auf die Waage. Da hilft der übersichtliche Aufbau bei der Lektüre des Ziegelsteins. Die einzelnen »Reiseziele« (ab Seite 48) umklammern Themenblöcke wie »Reiseplanung« (mit einstimmenden Beiträgen zu »Gut zu wissen«, »Reiserouten« oder auch »Reisen mit Kindern«), »Kanada verstehen« (»Geschichte«, »Outdoor-Aktivitäten«, »Tiere« und die »kanadische Küche« gehören ebenso dazu wie die »indigenen Kulturen«) und „Praktische Informationen“. Unter Reisezielen werden die einzelnen Provinzen verstanden, bei denen die Fragen zu Sehenswertem, Aktivitäten, Schlafen und Essen oder Ausgehen und Unterhaltung sowie Shoppen in einem entspannten Ton geklärt werden, ohne dass die Qualität der Antworten darunter leidet. Gerade bei »Schlafen« und »Essen« wird jeder Geldbeutel, ob schmal oder prall gefüllt, mit Einträgen bedacht. In farblich abgesetzten Kästen schieben die Autoren noch Anekdoten oder Hintergrundwissen ein – für meinen Geschmack sind sie oft das Salz in der Suppe.

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        Kanada
•        Autor: Karla Zimmermann, Celeste Brash, John Lee u. a.
•        1024 Seiten
•        Verlag: MairDuMont
•        Erscheinungsjahr: 2011
•        Besonderheiten: zahlreiche Karten und Fotos
•        ISBN: 978-3-82972-228-5
•        Verkaufspreis: EUR(D) 26.99
•        Format:  19,6 x 13 x 4,2 cm[/tip]

10.000.000 m² groß ist Kanada, etwa 30 Mal so groß wie Deutschland – da versteht es sich von selbst, dass nicht jeder Flecken dieses riesigen Landes in einem einzelnen Reiseführer erschöpfend und detailliert beschrieben werden kann. Deshalb stellt sich schon vor dem Kauf die Frage: Für wen eignet sich »Kanada«? Das Reisebuch ist die Grundlage, »sein« Gebiet auszusuchen, sich ein Bild von den Provinzen und den Landschaften zu machen, eine Auswahl zu treffen, wohin ihn das Flugzeug (der Bus, die Füße) tragen soll. Es lässt sich trefflich vergleichen und die Highlights betrachten, oder es fließen die nachteiligen Aspekte mit in die Überlegungen ein. Zudem kommt es darauf an, was ich auf meiner Reise machen möchte: Klettern, wandern, indianische Kultur kennen lernen, Tiere beobachten – das ist ein kleiner Querschnitt dessen, was Kanada zu bieten hat. Und jede Provinz hat ihre »Stärken«.

So steht das »Yukon Territory« für »Abenteuer, Wildnis, Elche«, wie die Autoren schreiben, und es bedeutet, viel draußen zu sein, denn die weltweit größten Eisfelder liegen dort. Es bedeutet auch, seine Reise ganz anders zu planen als in den Provinzen des Südens, wenn man liest, dass die »nächsten Dienstleistungseinrichtungen 369 km nördlich« zu finden sind – und nach weiteren 180 km die nächste Tankstelle irgendwo im Nirgendwo das heiß begehrte Benzin spendiert. Dafür erwarten den Reisenden – oder sollte er nicht eher Abenteurer genannt werden, auch wenn die wirklich wilden Zeiten längst vorüber sind – der »Chilkoot Trail« (»1898 im besten Fall ein beschwerlicher, im schlimmsten Fall ein tödlicher Weg«) oder Dawson City, das Zentrum des Klondike-Goldrausches.

Anders sieht es dagegen wahlweise in Ontario aus, denn dort sind die Winter viel milder als im Norden, die Sommer prägen eine hohe Luftfeuchtigkeit und Durchschnittstemperaturen von 23 °C im Südwesten der Provinz. Dafür handelt man sich ein echtes Gedränge ein, denn 39 % der Einwohner leben in Ontario. Toronto mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern kann sich mit jeder anderen Großstadt der Welt messen. Die Niagara-Fälle, obwohl sie auf der Liste der höchsten Wasserfälle abgeschlagen auf Platz 50 dümpeln, locken Jahr für Jahr 14 Millionen Besucher. Dies ist ein netter Hinweis, um den Bogen wieder zurück in den hohen Norden zu schlagen. Von den 42 Nationalparks weist der 12275 km² große »Aulavik National Park« die größte Population von Moschusochsen auf, doch dieses Schauspiel gönnen sich »… weniger als ein Dutzend Besucher jährlich«. Die Präferenzen des Touristen sind also eindeutig festgelegt, je weiter er nach Norden reist, umso weniger tritt er einem anderen auf die Füße. Außerdem warten hier Polar- und Grizzlybären auf Zeitvertreib …

Gut speisen kann man überall in Kanada, auch wenn eine Anmerkung wie »zuerst die schlechte Nachricht: Fast die Hälfte aller Restaurants in Yellowknife wird vom selben Küchenchef geführt« nachdenklich macht. Die gute Nachricht unterschlage ich, aber insgesamt überzeugt die kanadische Küche, soweit die Geschmacksnerven der Autoren sich nicht irren. Das überrascht nicht, bedenkt man die reichhaltigen Ressourcen, auf die das Land nicht nur in kulinarischer Hinsicht zurückgreifen kann.

So gestärkt kann der Tourist sich ins Abenteuer stürzen. Und von denen gibt es genug. Es gibt kaum eine Outdooraktivität, für die Kanada nicht eine Nische bietet. Klettern, Wandern, Mountainbiken, Ski fahren, Kanu fahren, Raften, Surfen, Angeln, Reiten – habe ich etwas vergessen? Egal, denn was es auch ist, der Sport oder die Aktivität ist garantiert an irgendeinem Ort in Kanada möglich. Wo, auch das verrät »Kanada«.

Neun Autoren pflügten sich durch das Land, ihre Ernte auf den 21522 Kilometern fiel üppig aus. Und was sie daraus produzierten, macht den Leser richtig satt. Auf 103 Karten kann dieser den Autoren auf ihren Wegen folgen. Dazu geben Farbfotos einen ersten vielversprechenden Eindruck, und ein separates Kapitel zu den Nationalparks stellt einige mit Fotos und Informationen vor.

Dieses Buch ist ein heimtückisches Buch. Seite um Seite macht es neugierig. Es weckt die Reiselust. Nein, es macht sogar viel mehr. Es weckt die Sehnsucht, die Sehnsucht nach einer Reise. Irgendwohin in Kanada. Vielleicht nach Québec seiner Geschichte wegen, vielleicht nach Nunavat, dem »mythischen Gebiet aus unbewohnten Inseln und eisigem Ozean«. Oder vielleicht mit dem Wohnmobil quer durchs Land. Auf jeden Fall sollte die Reise bald beginnen. Oder am besten: sofort.
Ich hätte dieses Buch nicht lesen dürfen.

 

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